Shintoismus: Leben im Schutz der Götter

Shintoismus: Leben im Schutz der Götter
Shintoismus: Leben im Schutz der Götter
 
Im Unterschied zum Konfuzianismus, zum Buddhismus und zum Christentum gilt der Shintoismus als eine rein einheimische Überlieferung Japans. Der Shintoismus, wie man ihn heute in Japan antrifft, ist weder mit der Religion der Jōmon-Menschen noch mit der der Yayoi-Menschen aus der japanischen Frühzeit identisch. Vielmehr ist er das Ergebnis der Systematisierung und Institutionalisierung der verschiedenen religiösen Traditionen der bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. einerseits von den pazifischen Inseln und anderseits vom asiatischen Kontinent her eingewanderten Sippen und ihrer Zentralisierung um die mächtigste Sippe, die der Yamato-Herrscher. Aufschlussreiche Dokumente dieser Systematisierung und Zentralisierung der religiösen Überlieferungen der Sippen des Yamato-Staates bilden die beiden im 8. Jahrhundert entstandenen, jeweils in ihrem Anfangsteil mythologischen Reichschroniken »Kojiki« und »Nihongi«. Ihre Texte, die bis auf den heutigen Tag als maßgebliche Quellenschriften shintoistischer Religion und Theologie angesehen werden, zeigen neben dem authentisch shintoistischen auch deutlich konfuzianistischen, daoistischen und buddhistischen Einfluss. Besonders prägend auf Sprache und Denken der Japaner wirkte der Text des »Nihongi«.
 
Im »Nihongi« kommt zum ersten Mal überhaupt der Begriff »Shintō« (= Weg der Götter) vor, und zwar als Gegenbegriff zur »Lehre des Buddha« (»bukkyō«). Das »Nihongi« stellt die von den Sippen verehrten Natur- und Ahnen-Götter (»kami«) in einer fiktiven Götterhierarchie dar, deren Spitze der zurückgezogene Hochgott Ame-no-minaka-nushi (= Herr in der Mitte des Himmels) bildet. Aus ihm gehen unzählige Generationen von »Kami« hervor, von denen besonders die Ureltern der Menschheit Isanagi (= Urmann) und Isanami (= Urfrau) sowie deren Kinder, der Sturmgott Susano-ō und die Sonnengöttin Amaterasu bis auf den heutigen Tag eifrig verehrt werden. Die göttlichen Geschwister werden als Konkurrenten dargestellt. Die Gelehrten vermuten hinter dem literarisch dokumentierten Streit zwischen Susano-ō und Amaterasu einen Kampf um die Vorherrschaft zwischen den Göttern älterer eingesessener Sippen. Das Zentrum der Verehrung Susano-ōs liegt in Izumo an der japanischen Westküste. Amaterasu wird vor allem in Ise, an der japanischen Ostküste verehrt.
 
Nach der im »Nihongi« aufbewahrten Shintō-Mythologie war Susano-ō von den Ureltern Isanagi und Isanami dazu ausersehen, die Meeresgefilde zu beherrschen. Aber er kümmerte sich nicht um seinen Auftrag und plagte statt dessen seine Schwester, die Sonnengöttin, in ihrem Herrschaftsbereich, den Himmelsgefilden, mit üblen Streichen, sodass er die ganze Göttergemeinschaft gegen sich aufbrachte. Nach seiner Unterwerfung ging sein Auftrag an einen seiner Nachkommen der fünften Generation, den Okuninushi, über. Okuninushi befriedete die Izumo-Region, führte Land-, Forst- und Viehwirtschaft ein, lehrte Heilkunde und Schädlingsbekämpfung sowie die Zauberkunst. Damit ist er eine Kulturbringer-Gottheit. Er wird als der Hauptgott des Großschreins von Izumo verehrt. Der Großschrein von Izumo streitet seit Menschengedenken mit dem Großschrein von Ise um die geistliche Vorherrschaft im Shintoismus. Zwar begann erst mit dem Meiji-Kaiser im Jahre 1868 der Tenno persönlich der im Ise-Schrein verehrten Sonnengöttin Amaterasu bei bestimmten Gelegenheiten seine Aufwartung zu machen, allerdings sorgte das Kaiserhaus seit der Nara-Zeit im 8. Jahrhundert dafür, dass dort stets eine kaiserliche Prinzessin als oberste Priesterin residierte. Im Laufe der Jahrhunderte wuchs die Beliebtheit der Wallfahrt nach Ise auch unter dem Volk bis zu ihrem Höhepunkt gegen Ende der Edo-Zeit (1603 bis 1868), als sie außer von religiösen auch von sozial und politisch reformerischen Gruppen propagiert wurden.
 
Die beiden Großschreine von Izumo und Ise führten nicht nur theologisch die allmähliche Entwicklung der shintoistischen Religiosität weg vom Polytheismus, dem Glauben an mehrere Götter, hin zum Heno- oder sogar Monotheismus, sondern sie beeinflussten auch das Lebensgefühl des japanischen Volkes. Das Leben im Einklang mit der Natur und das Lernen von den Formen der Natur prägen die japanische Kultur noch heute.
 
Die Schreine sind auch Zentren religiös geprägter Feste. Schon in der Reichschronik »Nihongi« erscheint das Wort »Matsuri« als zusammenfassende Bezeichnung für die zu Ehren der Götter veranstalteten jährlich wiederkehrenden Feiern oder Feste am Kaiserhof und an den Dorfschreinen. Man ruft die an dem betreffenden Tag und Ort zuständigen Götter an, drückt ihnen Verehrung aus, bittet um Schutz, bringt Gaben dar, tanzt und spielt Musik vor den Göttern und lässt sich hineinziehen in das Gefühl der Schutzgemeinschaft von Göttern und Menschen.
 
Prof. Dr. Johannes Laube
 
 
Elisseeff, Danielle und Elisseeff, Vadime: Japan. Kunst und Kultur. Ins Deutsche übertragen von Hedwig und Walter Burkart.Freiburg im Breisgau u. a. 21987.
 Schinzinger Robert: Japanisches Denken. Der weltanschauliche Hintergrund des heutigen Japan. Berlin 1983.

Universal-Lexikon. 2012.

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